Wodewitz (Der ewige Jäger)

 

Der Jägermeister einer der letzten Grafen von Winnenburg hieß Wodewitz. Er hatte von Amts wegen die Bauer und Köhler der Eifeldörfer diesseits und jenseits der steilen Endertschlucht als Treiber zu bestellen, wenn der Graf mit hohen Gästen zur Herbstzeit in den weiten Waldungen Hochpochtens seine großen Treibjagden abhielt. Aber Wodewitz war der Jagdleidenschaft so verfallen, daß er sich nicht scheute, auch sonntags und selbst an hohen Herrgottsfeiertagen in den ausgedehnten gräflichen Wäldern das flüchtige Wild zu hetzen.

An einem frühen Sonntagmorgen hatte er wieder ohne Willen und Wissen seines Herren die Waldbauern aus den Höhendörfern zwischen Mosel, Endert und Ellerbach als Treiber aufgeboten. Mit Halli und Hallo, mit Peitschenknall und Hundegebell brauste Wodewitz durch die hohen Buchenwälder hinter dem Wild her, das die leibeigenen Bauern auf Geheiß des gestrengen Jagdmeisters im gräflichen Frondienst aufscheuchen mußten. Von der Winnenburg zog das wilde Gejaid in zwei Gruppen zu beiden Seiten der Enderthänge hinauf über Greimersburg und Faid, durch Landkern und Büchel bis fern in die schroffen Quellgründe des reißenden Endertbaches im Hochportener Forst, wo die Jagdgruppen sich wieder zusammen fanden. Als in der Nähe des Thing – Busches, oberhalb der Murenbacher Kaul, wildes Gefluche des jagdtollen Wodewitz die ermatteten Bauern zu neuer Eile antrieb, klang drunten aus dem Enderttal leise das Geläut der Klosterglocke herauf. Jetzt schritten wohl die frommen Mönche den steilen Klosterberg hinab zum Gottesdienst ins zerfallende Martentaler Walfahrtskirchlein an der dröhnenden Rausch. Die müden Treiber horchten ergriffen dem friedlichen Feiertagsklang des Glöckleins, das sie eindringlich an ihre Sonntags – Christenpflichten gemahnte. Da fiel der weißhaarige Bauer Barthelmies aus Alflen dem jagdtrunkenen Jäger in die Zügel und bat flehentlich, ihn für einige Stunden zu beurlauben, damit er drunten in der Martentaler Klosterkirche der Feiertagsmesse beiwohnen könne. Aber Wodewitz sprang mit zorngerötetem Gesicht vom Pferd auf den Greis zu und schlug ihm schier sinnlos vor Wut mit der Reitpeitsche mitten ins Angesicht. In Schrecken und Angst erstarrten die Bauern ob der schändlichen Freveltat.

Kaum aber hatte der ehrvergessene Jäger seinem Zorn mit dem unheilvollen Schlag Luft gemacht, da brach jählings aus dem Tannendickicht von der Endert her ein riesiger, nachtschwarzer Keiler hervor. In großen Sprüngen stürmte er über das freie Gelände auf den Missetäter zu. Noch ehe dieser sich vorsehen und auf das entsetzt wiehernde und aufbäumende Ross retten konnte, war das mächtige Wildschwein, ein uriger Eber, ihm zwischen die Beine gelaufen und hatte den verzweifelt sich wehrenden auf seinen Rücken genommen. Und bevor noch die gänzlich verstörten Bauern sich von ihrer Bestürzung erholt und dem bedrohten Herren zu Hilfe eilen konnten, war der Keiler mit seinem seltsamen Reiter in dem gegenüberliegenden Eichenlohschlag verschwunden. Wie aus weiter Ferne drang nur noch das keuchende Grunzen und Schnauben des grimmen Wildschweines an ihr Ohr.

So sehr auch die fassungslosen Treiber den ganzen Feiertag über und auf Geheiß des Winnenburger Grafen in den kommenden Wochen die dichten Höhenwälder bis hinüber nach Landkern und Kaisersesch und auf der anderen Seite bis Gillenbeuren und an den verrufenen Kolwerborn immer wieder absuchten und jede Hecke und jeden Busch durchstöberten, der tolle Jägermeister war und blieb verschwunden, als hätte der Erdboden ihn mitsamt seinem finsteren Reittier verschluckt. Nicht einmal Hifthorn, Flinte, Pulverbeutel und Jagdtasche des Frevlers waren mehr zu finden, so sehr auch die Bauern im Verein mit den gräflichen Jagdknechten und ihren bewährten Schweißhunden sich abmühten.

Ein paar Monde später aber gewahrten heimkehrende Holzhauer und Kohlenbrenner aus Auderath, die von der früh hereinbrechenden Dunkelheit überrascht wurden, im Distrikt Unkenborn bei Laubach den wilden Jäger, wie er in wehendem Mantel und Schlapphut auf dem riesigen Keiler durch die Samenbuchenbestände zum Eulenkopf hinauf brauste. Sie hörten entsetzt die schrecklichen Flüche des unglücklichen Jägermeisters von den steilen Berghängen widerhallen und das knallen der Peitsche, die er gespensterhaft durch die lüfte schwang. Hinter ihm her aber jagte eine wilde Hundemeute, deren schauerliches Gekläff die Hirsche drunten im Kunkelseifen angstvoll aufschreien ließ. Und ein junger Bergmann aus Müllenbach, der in dem neuen Stollen diesseits der Endert an der Leyenkauler "Läddermarei" Dachschiefer schürfte, starb plötzlich kurz danach, als auch er auf dem Heimweg um Mitternacht an der Hollerlay dem wilden Jäger begegnete und durch die gellenden Klänge des Hifthorns verwirrt, vom rechten Weg abgekommen war.

Seit dieser Zeit meiden es die Bewohner der Höhendörfer tunlichst, in dunklen Nächten ihre weiten Heimatwälder zu betreten. Denn wer unvermittelt den wilden Jäger mit seinem Geisterheer schaut, in das auch eingereiht sind die verruchten Seelen der Wildschützen , Schlingenleger, Fallensteller, Holzdiebe, Baumschänder und jedweder Waldfrevler und sich nicht allsogleich zu Boden wirft, der soll über kurz oder lang dem Tod verfallen sein!

Und wenn im Spätherbst die guten Neunhollenzwerge den Hochpochtener Wald verlassen, um im altersgrauen Haus des Pijup Hummer in Jörgweiler ihre warme Winterwohnung zu beziehen, heulen in den Lausternächten zwischen Christtag und Dreikönigen rasende Stürme durch die einsamen Forste an der Endertquelle, daß die Kronen und Stämme der mächtigen Baumriesen unter dem Aufruhr der entfesselten Naturkräfte ächzen und stöhnen. Dann ist der wilde Wodewitz immer unterwegs. Wenn an diesen langen Winterabenden draußen der Wind klatschend Schnee und Eis gegen die Haustüren und Fenster wirft, drücken die Eifelmütter ihre Kinder fester an sich und erzählen ihnen die schaurige Sage vom wilden Jäger, der nun ewig in sturmvollen Nächten durch die Eifelwälder mit dem unglücklichen Geisterheer jagen und reiten muß, weil er eines ehrwürdigen Greises Antlitz freventlich geschändet. Sind die Allerkleinsten unartig und wollen sich garnicht schicken, brauchen auch heute noch die Eifelbauern und Schiefergräber in den Dörfern rings um den Hochpochtener Wald nur eindringlich zu warnen: "Wart der Wodewitz kommt dich holen!" Dann sind sie plötzlich fein still und schauen mit angstvollen Augen durch die Fensterscheiben dorthin, wo in der Ferne die dunklen Eifelwälder seit Jahrtausenden geheimnisvoll rauschen.

 

 

(Quelle: Am Sagenborn der Heimat, Heft V, aus dem Jahre 1958 )

</body> </html></HTML>